Samstag, 30. Juni 2018

Ballade vom Vize und seinen 12 Leuten



BALLADE VOM VIZE UND SEINEN 12 LEUTEN


Einar Schlereth


Winden und Kräne verharren 
im Hafen regungslos
Scheinwerferaugen starren
blind in die Luken hinein.

Um elf beginnt die Schicht. 
Eine Stunde vor Mitternacht 
stehen zwölf Mann dicht an dicht
auf Deck und keiner lacht.

Sie warten auf ihren Viz. 
Diese Nacht sieht nicht gut aus. 
Der eine wär gern auf'm Kiez, 
der andere gern zuhaus. 

Da kommt er, sagt ich es nicht,
der mit dem bösen Gesicht.
Schlecht der Mann in schlechter Nacht,
sanft schaukelt das Schiff mit schwerer Fracht.

Heiser brüllt er Kommandos:
Zwei Mann auf die Kräne,
vier Mann achtern, vier Mann vorn,
der Rest Luke eins. Nun los.

Pensum dreihundert Tonnen
Stückgut aus Pakistan.
Los Männer, haltet euch ran.
Dann soll euch der Teufel holen.

Sie sind in der Luke kaum, 
da schwenkt schon der Kran herein.
Zeichen gibt der Warschaumann,
weil der Meister nichts sehen kann.

Fester packt jeder den Kant-
haken und dreht die Kisten weg. 
Kisten aus einem fernen Land, 
gestapelt bis unters Deck.

Fünf Stunden gingen vorbei
und das Pensum war geschafft.
Doch der Viz hat nur gelacht:
Hundert Tonnen noch und ihr seid frei.

Vize, wir haben dein Wort,
so sagen die Leute barsch,
doch der Viz hat ihnen den Arsch
gezeigt und war mit einem fort. 

Für nichts war Schweiß geflossen,
für nichts ein Wort gebrochen. 
Schlecht der Mann in schlechter Nacht,
so hat ein jeder gedacht.

Und jeder hätte geschworen,
die letzten hundert Tonnen,
sie haben doppelt gewogen.
Denn ein Mann hat sie betrogen.

Mit müdem Schritt verlassen
das Schiff zwölf Mann um sechs.
Drei Mann biegen stumm nach rechts
zur Brücke für Barkassen.

Der Nebel ist jetzt ganz dicht,
siehst die Hand nicht vorm Gesicht.
Drei Leute gehen an Bord,
schweigen und sprechen kein Wort.

Sacht legt die Barkasse ab,
da springt noch ein Mann.
Der Viz! Ohne hinzusehn
haben ihn alle erkannt.

Achtern steht er abgewandt,
stiert in den Nebel ein Loch.
Da heben ihn sechs Hände hoch 
und halten ihn über den Rand. 

Kopfüber tauchen sie ihn,
ins kalte Wasser hinein.
Er hat geschluckt, gespien,
ihm blieb keine Zeit zu schrein.

Am Ende einer Ewigkeit
ließen die Fäuste ihn frei.
Wie ein Sack fiel er nass
aufs Deck und war leichenblass.

Die Brücke ist menschenleer.
Der Nebel nahm jede Sicht.
Seitdem hörte keiner mehr:
Des Vizen Wort gilt nicht.





Hamburg, der 4. September 1975









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