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Mittwoch, den 13. August 2014
WELCH EINE ZEIT
Einar Schlereth
Hier stehst du
zwischen Glas und Asphalt und Beton
und deine Tränen
gerinnen zu Glysantin
du willst zurückweichen
auf einen Steinwurf
wenigstens
aber du stehst
festgegossen
und deine Ohmacht
brüllt mit eisern zusammengebissenen Zähnen
A M O K
du versuchst
Zeit und Stunde zu bestimmen
des GROSSEN AUFRUHRS
und denkst
es muss JETZT sein - GLEICH
wo doch die Flüsse sich schon wehren
einfach kippen
nur noch stinken
ganze Stadtviertel verpesten
fragend schaust du
in die Gesichter der Menschen
den HEILIGEN ZORN zu finden
und stößt auf Leere
wo doch die Bäume sich schon wehren
mutlos im Sommer
die Bätter abwerfen
wo doch die Vögel sich schon wehren
erschöpft hinsinken
um zu sterben
und die Tiere im Wald
und die alten Menschen schon
mitten im Satz
nach dem Herzen greifen
und umfallen
Und du wartest auf die EMPÖRUNG
wie auf die Geliebte
Zeichen und Schritte deutend
inmitten
steingewordener Unmenschlichkeit
Was früher nur Götter vermochten
Menschen in Stein zu verwandeln
schaffen heute eine Handvoll Menschen
und du denkst
an die barbarischen Verbrechen der Cäsaren
an die perverse Grausamkeit
der Hexenprozesse und Scheiterhaufen
an die dumpfe Gefühllosigkeit
der hunnischen Reiterscharen
an das große Bauernschlachten
der Fürsten und Fugger
an die Ermordung und Verschleppung
der 150 Millionen Afrikaner
an die Hekatomben bei Verdun und Stalingrad
an die große Fratze dahinter
Und du sträubst dich
dies alles harmlos zu finden
im Vergleich zu HEUTE
unterm Joch der vergangenen 100 Jahre
die nicht zählen
Und du fühlst der Zeit den Zahn
und findest das Loch
und bohrst
und wartest auf den AUFSCHREI
Aber die Zeit
sie gähnt nur
Welch ein Zahn
Welch eine Zeit.
25. August 1975
Glaubt jemand, dass man so etwas damals veröffentlichen konnte?
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